Strassburg fordert Anerkennung der Elternschaft zweier Väter

Die Elternschaft zweier Väter, die durch ein ausländisches Gericht besiegelt wurde, muss zur Wahrung des Kindswohls auch in der Schweiz anerkannt werden. Dies jedenfalls könnte die Konsequenz sein des am Dienstag (22.11.22) verkündeten Urteils des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Das Gericht in Strassburg stellte fest, dass die Schweiz durch die Verweigerung der Anerkennung der Elternschaft zweier Väter das Kind in seinem Recht auf Familienleben verletzt hat. Zwei Männer, die in der Schweiz in eingetragener Partnerschaft leben, wurden 2011 mit Hilfe einer Leihmutterschaft gemäss den Gesetzen des US-Bundesstaates Kalifornien Eltern eines Kindes. Das Schweizer Bundesgericht jedoch lehnte die gemeinsame Elternschaft ab.

Es war das erste Mal, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Urteil fällte zu gleichgeschlechtlicher Elternschaft bei Leihmutterschaftskindern. «Wir sind überaus erfreut über den Entscheid aus Strassburg», sagt Maria von Känel, Geschäftsführerin des Dachverbandes Regenbogenfamilien. «Das Gericht hat das Wohl des Kindes ins Zentrum gestellt», so von Känel. Durch die Verweigerung der Anerkennung der Elternschaft des nicht-genetischen Elternteils hatte die stabile faktische Elternschaft keine Entsprechung im Rechtlichen und das Kind beispielsweise keine Erb-, Unterhalts- und Fürsorgerechte gegenüber diesem Elternteil. Der Gerichtshof hatte also gute Gründe für sein Urteil.

Kritik an langer Wartezeit für rechtliche Herstellung der Familie

Im Urteil wurde insbesondere die lange Wartezeit zur rechtlichen Herstellung der Familie kritisiert. Die Adoption des Kindes durch den nicht genetischen Vater konnte erst 2018 nach Inkrafttreten des revidierten Adoptionsrechts, welches gleichgeschlechtlichen Paaren die Stiefkindadoption erlaubte, beantragt werden. Indem es 8 Jahre lang dauerte, bis der zweite Vater als rechtlicher Elternteil anerkannt wurde, hat die Schweiz den ihr zustehenden Ermessenspielraum überschritten und Art. 8 EMRK verletzt.

Der Dachverband Regenbogenfamilien fordert nun von den Schweizer Gerichten und von der Politik, dass die Elternschaft zweier Männer, die sich im Ausland durch eine Leihmutterschaft einen Kinderwunsch erfüllen, rasch und unbürokratisch anerkannt wird. Das ist im Interesse des Kindes, das wie das Gericht in Strassburg festhält, ein Recht auf Familie hat.

Kinder in Regenbogenfamilien wachsen normal und glücklich auf

In der Schweiz wachsen rund 30’000 Kinder in Regenbogenfamilien auf. Die Forschung der letzten 40 Jahre hat gezeigt, dass Kinder in Regenbogenfamilien sich genauso glücklich und normal entwickeln wie Kinder mit verschiedengeschlechtlichen Eltern. Grundvoraussetzung dafür ist die Verfügbarkeit mindestens einer konstanten Bezugsperson, die dem Kind emotionale Wärme und Halt gibt, ein tragfähiges soziales Umfeld schafft und es in seiner individuellen Entwicklung unterstützt.

Betrifft Urteil des EGMR vom 22. November 2022: Beschwerden 58817/15 und 58252/15

Themenfotos zum Thema Regenbogenfamilien sind erhältlich von Keystone-Fotograf Gaëtan Bally unter https://visual.keystone-sda.ch.